Warum sitzen wir heutzutage eigentlich im Schaufenster und essen? Man könnte meinen, Essen wäre ein intimer Akt. Immerhin könnte dabei einiges schief gehen: den Mund verfehlen, sich mit einer Gabel die Augen ausstechen oder Essensreste, die im Bart hängenbleiben.
Trotzdem gibt es in den Städten eine Vielzahl von Läden, die sich die Schaufensterdekoration-Frage damit beantworten, indem sie ihre Gäste dort drapieren. Ein paar Barhocker und hohe Tische dazu – fertig. Die Menschen haben niemandem mehr zum gemeinsamen Mittagessen. Das ist die traurige Wahrheit hinter den atmenden Schaufensterpuppen in den Suppenbars und Cafés unserer Zeit. Es gibt immer mehr Singlehaushalte und es gibt immer weniger Zeit für Kochen. Die Lösung ist das Schau-Essen an einem Tisch ohne Gegenüber. Manche lesen dabei Zeitung. „Die Deutschen wollen keine Kinder mehr“ lautet eine Schlagzeile, hinter der sich die Zeitungsleser verstecken. Andere schauen aus dem Schaufenster den Fußgängern zu: Mann mit Rucksack, Oma mit Rollator, Kind im Kinderwagen. Das Theaterstück ist jeden Tag gleich. Fast gleich. Im Sommer werden die Beine und Arme nackter und im Winter werden die Köpfe bestrickter. Manche Fußgänger schauen zurück. Sie sehen auch das gleiche Theaterstück jeden Tag: Essen, trinken, Mund abwischen, gehen. Dramatische Shakespeare-Stücke mit vielen Rollen spielen wir alle schon lange beim Essen nicht mehr.