An Weihnachten spielen wir Vater, Mutter, Kind

Ein Hoch auf die Kernfamilie! Das könnte das Motto der Corona Verordnung für Treffen in der Weihnachtszeit sein. Warum darf ich mich an Weihnachten mit vier engen Verwandten aber nicht mit vier Freunden treffen? Zum Glück mag ich meine Eltern und Brüder und freue mich darauf sie zu sehen, aber der Grund für diese Regel ist mir schleierhaft.

Warum sollte es für das Infektionsgeschehen einen Unterschied machen, ob ich mich mit Familie oder Freunden treffe? Hier wird die Kategorie „Familie“ als gesellschaftlicher Wert in den Mittelpunkt gestellt und andere Formen der sozialen Zugehörigkeit und emotionalen Verbundenheit – „Freunde“ – werden abgewertet. Ein Blick in die Nachbarländer zeigt: Sogar in Österreich mit 34 Prozent ÖVP Wähler*innen können sich 10 Menschen unabhängig von Blutsbanden treffen. In Frankreich erlauben die Regeln ein Treffen mit sechs Menschen unabhängig der Familienzugehörigkeit.

Was ist mit den Menschen, die keine enge Familie mehr haben oder sich mit ihrer Kernfamilie nicht verstehen? Sollen sie an Weihnachten alleine zu Abend essen? Oder mit schlechtem Gewissen mit zwei Freunden am Tisch sitzen? Diese Regel geht an der Lebensrealität der Menschen vorbei. Für 85 Prozent der Deutschen* sind gute Freunde und enge Beziehungen zu anderen Menschen der wichtigste Aspekt im Leben. Erst danach folgt die Familie. Warum haben wir also diese konservative Regel hierzulande?

Vielleicht soll sie verdeutlichen, dass uns der Artikel 6 in Deutschland ganz besonders wichtig ist: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“? Oder es saßen in der Runde für dieses Gesetz nur Menschen aus intakten Familien, die sich nicht vorstellen können, dass andere Menschen Weihnachten lieber mit Freunden verbringen? Oder das Coronavirus verbreitet sich bei Menschen mit einem ähnlichen Immunsystem nicht so schnell?

Ich wünsche mir jedenfalls für alle Menschen mit Wahlfamilien bis zur nächsten Pandemie einen Artikel zum Schutz von Freundschaften im Grundgesetz. Das Motto könnte dann sein: Ein Hoch auf Gemeinschaft!

* Befragung Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) vom Institut für Demoskopie Allensbach 2020