Kapitalismusflüchtling

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Ein Mensch, der vor Armut in seinem Land flieht, darf genauso nach Deutschland kommen, wie ein Mensch der vor Bomben flieht. Und: Er ist der lebende Beweis dafür, dass das globale kapitalistische Wirtschaftssystem nicht funktioniert. Wirtschaftsflüchtlinge könnten eigentlich auch Kapitalismusflüchtlinge heißen. Sie fliehen vor den Folgen eines Systems, das Armut produziert. Reichtum und Wohlstand auch. Der Gewinn ist hier, der Verlust liegt dort. Plötzlich sehen wir die Armen nicht mehr vom sicheren Sofa aus auf den großen Flachbildschirmen in unseren Wohnzimmern. Sie wollen am liebsten mit auf unseren Sofas sitzen oder zumindest eine eigene Wohnung mit Sofa und Bildschirm haben. Warum sollte für diese Erstausstattung unser Land Geld ausgeben?

Solange der Flüchtling und seine Ursachen als getrennt von unserem Leben wahrgenommen werden, bleibt es ein Wirtschaftsflüchtling. Ein Mensch, bei dem im Land irgendwas schief gelaufen ist. Sobald die Verknüpfung von unserem Reichtum und deren Armut erkannt wird, sind das nicht mehr zwei getrennte Ruder. Dann wird es zu einem Boot. Das Sozialsystem ist dann nicht mehr „unser“ und die Schulden „deren“. Die EU unterstützt unsere Bauern, damit sie ihr Gemüse im Ausland billiger verkaufen können. Der Bauer in Afrika kann sein Gemüse nicht zu dem niedrigen Preis verkaufen. Aber hier auf dem Markt sollen die Menschen dann auch nicht arbeiten. Wir kaufen das billige T-shirt made in Bangladesch, aber der deshalb Arbeitslosen aus Albanien darf in unserer Nachbarschaft nicht leben. Unser Geld auf der Bank wird benutzt um Bomben bauen zu lassen, aber unsere Schulen besuchen sollen die ausgebombten syrischen und irakischen Kinder nicht.

Die Wirtschaft, so wie sie ist, produziert Arme. „Der Staat muss die negativen Auswüchse des Kapitalismus regulieren“ – so hieß es zu Beginn der sozialen Marktwirtschaft. So hieß auch kurz nach der Bankenkrise. Seit 2008 wurden insgesamt 236 Milliarden Euro zur Bankenrettung bezahlt und keine Bank brannte deshalb nieder. 21,1 Milliarden Euro wurden 2015 für die Flüchtlinge ausgegeben, viele Asylheime brannten. Aus der vergleichsweise wirtschaftsschwachen Türkei hört man weniger Negatives über den Umgang mit Flüchtlingen. Zumindest wird dort nicht über Obergrenzen diskutiert. Nimmt mit steigendem Bruttosozialprodukt die Menschlichkeit in einem Land ab?

Wenn Konkurrenz Produktivität fördern soll, dann ist es nicht verwunderlich, dass uns Kooperation mit Flüchtlingen schwer fällt. Wenn der Staat Privateigentum schützt, was zusammen erarbeitet wurde, dann kann es schon sein, dass Teilen mit Flüchtlingen sich ungewohnt anfühlt. Kapitalismusflüchtlinge, ein Ergebnis unseres Lebensstils und Wirtschaftssystems. Wer Schaden anrichtet, muss ihn auch wieder gut machen. Das gilt auch im Kapitalismus.

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